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Unterwegs

Lauterbrunnen und Jungfraujoch

Kaum fahren wir am Sonntag, 30. August 2015, in Lauterbrunnen ein, entdecke ich rechts oben das Hotel Silberhorn, ein grosses Chalet mit roten Geranien. Zufällig ist das Hotel aus der Smartbox „Hotels mit Charme“ (Geschenk der Familie Rast-Gyr zu unserem Geburtstagsfest 60 Jahre Bernard, 55 Jahre Evi) nur zwei Minuten zu Fuss vom Bahnhof gelegen. Für unsere morgige Bahnfahrt auf das Jungfraujoch ist das ideal.
In Interlaken haben wir auf einer Terrasse bei Cappuccino und Espresso und anschliessendem Spaziergang den warmen sommerlichen Sonntagvormittag genossen. Von da an standen die in der Sonne weiss leuchtenden Gletscherhänge der Jungfrau immer vor uns, auch auf der Fahrt durch das schmale Lauterbrunnental mit seinen beidseitig steil abfallenden Berghängen und Felswänden.
Im grosszügigen, gemütlich eingerichteten Zimmer mit einem grossen Balkon haben wir unsere Taschen deponiert.
Das Lauterbrunnental ist das Tal der 72 Wasserfälle. Wir kaufen uns ein Sandwich und durchqueren das lebendige Dorf, es ist alles offen und es sind viele Leute unterwegs an diesem herrlichen letzten August Wochenende. Die Staubbachfälle sind unser Ziel.
Dieser Wasserfall, ein Vorhang aus Wassertropfen, hat Johann Wolfgang Goethe 1779 zu diesem Gedicht animiert:

Gesang der Geister über den Wassern

Der Menschen Seele Gleicht dem Wasser: Vom Himmel kommt es, Zum Himmel steigt es, Und wieder nieder Zur Erde muss es, Ewig wechselnd.

Strömt von der hohen, Steilen Felswand Der reine Strahl,

Dann stäubt er lieblich In Wolkenwellen Zum glatten Fels, Und leicht empfangen Wallt er verschleiernd, Leisrauschend, Zur Tiefe nieder.

Ragen Klippen Dem Sturz entgegen Schäumt er unmutig Stufenweise Zum Abgrund.

Im flachen Bette Schleicht er das Wiesental hin, Und in dem glatten See Weiden ihr Antliz Alle Gestirne.

Wind ist der Welle Lieblicher Buhler; Wind mischt vom Grund aus Schäumende Wogen.

Seele des Menschen. Wie gleichst du dem Wasser! Schicksal des Menschen, Wie gleichst du dem Wind!

Am Fuss des Wasserfalls finden wir ein schattiges Plätzchen und verzehren unsere Sandwiches. Um an dem heissen Sonntagnachmittag ein paar erfrischende Wassertropfen zu erhaschen, steigen wir in ungefähr einer Viertelstunde die in den Fels gehauene Galerie hinter den Wasserstaubvorhang hoch.
Die an dieser Stelle immer vorhandene Thermik ist der Grund dafür, dass ein Teil des fallenden Wassers zu Wasserstaub wird, was diesen Fällen ihren Namen gegeben hat.
Wieder zurück auf dem Spazierweg, lesen wir auf dem gelben Wegweiser, dass die Trümmelbachfälle 50 Min. von hier entfernt sind und wir entscheiden uns, noch bis dorthin zu wandern. Unterwegs beobachten wir eine Art Vogel-Menschen, die von der senkrechten 300m hohen Felswand im freien Fall in die Tiefe stürzen und kurz vor dem Boden ihren Fallschirm öffnen, um weich auf der Wiese zu landen. Verrückt! Basejump nennt sich diese Extremsportart. Von der Basis in der Mitte des Tales starten und landen die Helikopter unaufhörlich um Sportler in die Höhe zu bringen.
Wir folgen dem Weg, der nun quer über den Talboden und eine Brücke über den Trümmelbach führt. Weit und breit gibt es aber kein in die Tiefe stürzendes Wasser. Es ist sehr heiss und wir denken ans Umkehren… Wo ist denn dieser Wasserfall? Zum Glück machen wir aber nach der Brücke doch noch ein paar Schritte, denn da sehen wir von Bäumen verdeckt einen grossen Parkplatz mit verschiedenen Touristen-Cars und dem Eingang: Trümmelbachfälle. Diese Fälle müssen im Felsen drin sein. Wenn so viele Leute hier hin fahren, lohnt es sich wohl, genauer hinzusehen. Wir kaufen ein Billet für den Aufzug und fahren damit ungefähr 60 Sekunden im Felsen drin hoch. Es ist angenehm kühl hier. Kaum sind wir hoch über dem Lauterbrunnental ausgestiegen, entdecken wir eines der spektakulärsten Naturereignisse der Schweiz.
Mit einer unglaublichen Wucht stürzen riesige Wassermassen in einem schmalen Felseinschnitt, oder teilweise vollständig im Felsinnern über 10 Wasserfälle in die Tiefe. Über 20‘000 Liter Wasser pro Sekunde stürzen hier fast senkrecht ins Tal. Im Trümmelbach sammelt sich das Wasser der Gletscherhänge von Eiger, Mönch und Jungfrau. Wir sind sehr beeindruckt und froh, dass wir nicht vorher umgekehrt sind. Mit dem Postauto fahren wir schliesslich zurück zum Bahnhof und nehmen den kleinen Fussweg zurück ins Hotel.
Den warmen Sommerabend geniessen wir bei einem Cüpli auf der von Blumen eingerahmten Gartenterrasse. Die Gletscher der Jungfrau und des danebengelegenen Silberhorns leuchten noch hoch oben vor uns in der Sonne. Zum Nachtessen gibt es feine Cordon Bleus und einem guten Schluck Cornalin dazu. Danach fallen wir beide müde ins Bett. Am nächsten Morgen wollen wir nach dem Frühstück gleich losfahren aufs Jungfraujoch.
Am Montag begrüsst uns ein strahlend schöner Sommertag. Das Auto können wir auf dem Hotelparkplatz stehen lassen. Kurz nach 9 Uhr besteigen wir in Lauterbrunnen die WAB – Wengernalp Bahn, in der bereits schon viele Touristen, vor allem Asiaten, sitzen. Die Zahnradbahn klettert zuerst hinauf nach Wengen, das auf einer Terrasse, auf 1274m, über dem Lauterbrunnental liegt – und dann weiter auf die Kleine Scheidegg. Hier, auf 2061m, trifft auch die Zahnradbahn aus Grindelwald ein. Die Sicht ins Flachland und auf die mächtigen drei Berge Eiger, Mönch und Jungfrau und ihre Gletscher ist einmalig. Wir steigen um in die komfortable Jungfraubahn. Durch einen Tunnel in der Eiger Nordwand führt sie uns zur höchst gelegenen Bahnstation Europas auf dem Jungfraujoch. Unsere Bewunderung für das 1912 fertiggestellte Bauwerk ist gross, ebenso für die Organisation hier mit den riesigen Touristenmassen! Schon nach kurzer Zeit sind wir im Tunnel und es wird langsam kühl. Zweimal, Eigerwand und Eismeer heissen die Haltestellen, hält der Zug jeweils 5 Minuten, damit wir durch in den Fels gehauene Fenster das Panorama bewundern können. Nach 50 Minuten Fahrt sind wir auf dem Jungfraujoch, auf 3454m. Es gibt zwei Hallen für die Ankunft der Züge, der Bahnhof ist sehr grosszügig. Das Thermometer zeigt 3°C. an. Wir ziehen Anorak und Faserpelz an und orientieren uns über die verschiedenen Möglichkeiten. Wir steigen zuerst auf die Aussichts-Plattform.
Riesige Massen von Eis und Schnee leuchten uns in der Sonne entgegen. Gegen Süden fliesst der grosse Aletsch Gletscher über den Konkordiaplatz viele Kilometer weit Richtung Wallis. Die Gipfel von Mönch auf der einen und Jungfrau auf der anderen Seite scheinen zum Greifen nah. Die Jungfrauregion mit dem Aletsch Gletscher gehört übrigens auch zum Welterbe der UNESCO.
Wir setzen unseren Rundgang fort. Er führt uns durch den Eispalast mit seinen Eis-Skulpturen und anschliessend auf das Schnee Plateau, wo ich, Ende August, den herrlichen Duft von Schnee und Winter einatme, Vorfreude auf die Skipisten kommt hier auf! Und natürlich bekommt Bernard auch einen Schneeball ab.
Auf der Rückfahrt am Nachmittag schalten wir auf der Kleinen Scheidegg einen Halt ein um auf der Terrasse des Hotels Bellevue etwas zu essen. Als ich kurz ins Hotel eintrete um auf die Toilette zu gehen, fühle mich wie in eine andere Zeit versetzt oder in das Haus eines englischen Lords aus einem Film von Rosemund Pilcher. Auf der kleinen Scheidegg entdecken wir auch die Skilift-Anlage, die von hier aus auf das Lauberhorn führt. Dank der Lauberhorn-Abfahrt sind Wengen und diese Region im Winter während jeweils einem Wochenende der Mittelpunkt der Ski-Welt.
Den Kaffee trinken wir bei unserem nächsten Zwischenhalt in Wengen. Es ist heiss, wir spazieren ein wenig im Dorf und atmen die typische Atmosphäre eines Winter- und Wandersport-Zentrums ein, ähnlich aber kleiner als Chamonix. Gegen Ende des Nachmittags fahren wir dann wieder ganz hinunter ins Lauterbrunnental, kaufen noch ein wenig Charcuterie für Praline und treten die Heimreise über Interlaken und Bern an. Wir beschliessen den wundervollen Tag in Praz, direkt am Murtensee im Hotel Bellevue mit Forelle und Filet de Perche.
Unglaublich, was wir in den beiden intensiven Sommertagen gesehen und entdeckt haben.