Bernard und ich sitzen in einem der zahlreichen aus dem vorletzten Jahrhundert stammenden Turiner Cafés, bei Barrati&Milano. Ich habe eine heisse Schokolade bestellt. Turin ist berühmt für seine feine Schokolade und vor allem die Gianduiotti, die zartschmelzenden Gianduia-Pralinés mit der speziellen Form. Das Getränk ist köstlich, der erste Schluck heisser, dunkler Schokolade bringt mich auch fast zum Schmelzen. In einzelnen Cafés sehen wir Menükarten für eine Schokolade-Therapie. Da es im Piemont aber noch viele andere Delikatessen zu kosten gibt, habe ich mit der Schokolade nicht übertrieben. Übrigens soll Emmanuel Philibert von Savoyen den Kakao im 16. Jh. in Turin eingeführt haben.
Die Reise mit der Eisenbahn von Genf nach Turin dauert 5 Stunden, mit Umsteigen in einen Zug der Frecciarossa in Milano, der auf einzelnen Abschnitten mit 300 km/Std. Turin entgegenrast. Die Lage Turins ist einmalig, zu einem grossen Teil ist die Stadt von bereits verschneiten Bergen der Alpen umgeben, die wir leider aber nur kurz sehen, weil der Himmel oft bedeckt ist. 2006 fand hier die Winter-Olympiade statt, die Wintersportgebiete im Val de Susa sind sehr nah.
Vier Nächte haben wir im einfachen, ruhigen Hotel, das nur ein paar Schritte vom Bahnhof Porta Nuova entfernt ist, reserviert. Es ist eine familiäre Atmosphäre und der Standort um zu Fuss das Centro Storico mit seinen Plätzen, Kirchen und Palästen zu erkunden ist ideal. Viele Strassen im Zentrum der piemontesischen Hauptstadt sind von hohen Arkaden gesäumt. Auch wenn es stürmt, regnet oder die Sonne brennt, die Arkaden bieten Schutz. Jetzt in der November-Kälte haben sich hier auch zahlreiche Obdachlose mit ihrem Hund, einer Matratze und Decken eingerichtet.
Die schöne Piazza San Carlo ist das lebendige Zentrum der Stadt. Am Freitagabend singen und spielen ein vier ältere Papis napolitanische Volkslieder und verbreiten damit gute Laune unter den Arkaden. Der Platz ist abends wunderschön beleuchtet, wir kehren immer wieder dahin. Auch in der Via Po, die von da zur Piazza Vittorio Veneto am Po führt, dem grössten Platz Europas, oder auch in der Via Roma, verbreiten Lichterdekorationen abends eine festliche Atmosphäre. Tagsüber und auch am Abend sitzen auf den Terrassen der Cafés immer Leute, denen es noch nicht zu kalt ist. Wie überall im Piemont wird hier zum Aperitif ein Teller mit köstlichen kleinen Canapés und Tramezzini, kleinen Sandwiches, serviert. Wir probieren diese Spezialität natürlich auch, jedoch im Café drin an der Wärme.
Die Piazza Castello ist rundherum von verschiedenen schönen Palazzi der italienischen Könige eingerahmt, der speziellen Kirche San Lorenzo, die extra für das Leichentuch Christi gebaut wurde, das eine Zeit lang dort aufbewahrt wurde. Heute befindet es sich im Dom. Weil ich aber Mühe habe zu glauben, dass Jesus› Leichentuch mehr als 1000 Jahre nach seinem Tod plötzlich wieder aufgetaucht ist, sind wir da nicht hingegangen. Hinter den Palästen breiten sich die königlichen Gärten aus, wo Bernard und ich uns am Samstagnachmittag in einem Liegestuhl in die Sonne legen um unsere müden Füsse auszuruhen. Das geht jedoch nur am Samstag. Am Montag ist es kalt und regnerisch, da haben wir uns in eines der alten, orangen Trams, die durch die Strassen quietschen, gesetzt und sind einfach quer durch die Stadt gefahren, bis wir ausgeruht waren.
Im Gegensatz zu den alten Trams besitzt Torino eine äusserst moderne automatisierte Metro. Sie fährt ohne Chauffeur auf einer einzigen Linie, vom Nordwesten nach Lingotto im Süden der Stadt, wo die ehemalige Produktionsstätte von Fiat steht. Die bei der Gründung Fiats im Jahr 1899 gebaute Fabrik ist auch heute noch eindrücklich. Ein riesiges Einkaufs- und Kongresscenter beherbergt das Gebäude heute, und gerade daneben befindet sich Eataly, der Tempel für Liebhaber der italienischen Küche. Feine Spezialitäten gibt es da zu kaufen oder auch in einem der zahlreichen Restaurants zu essen oder trinken. Wir haben den Ort besucht, sind dann für das Essen jedoch ins Zentrum zurückgefahren. Abends haben wir jeweils zufällig ein kleines Restaurant mit piemontesischen Spezialitäten gesucht, meistens recht lange, haben aber immer sehr gut gegessen. Die Trattoria Alba bei der Piazza Veneto ist zu empfehlen. Oder auch, nur ein paar Meter vom Hotel entfernt, La Conca. Das Wasser läuft mir immer noch im Mund zusammen, wenn ich an die feine Fonduta di Toma (geschmolzener Tomme Käse) mit schwarzen Trüffeln denke, oder den Fenchel-Orangen-Salat und den guten Nebbiolo, den wir dazu genossen haben. Panierte Steinpilz-Tranchen sind auch eine feine piemontesische Spezialität, die wir in Turin entdeckt haben.
Das Wahrzeichen Turins, die ca. 170m hohe Mole Antonelliana, ist ein eigentümliches Gebäude. Es wurde von der jüdischen Gemeinde als Synagoge in Auftrag gegeben, und als das Geld ausgegangen war, hat es die Stadt zu Ende gebaut. Es beherbergt heute das Filmmuseum und eine Aussichtsplattform, die in einem Glaslift ‹erklommen› werden kann. Auch bei weniger gutem Wetter hat sich der Ausflug über die Dächer Torinos am Montag gelohnt. Von dort oben zieht sich der Po in einem von herbstfarbenen Bäumen gesäumten Band durch die Stadt.
Erst seit 1861 sind die einzelnen Staaten der italienischen Halbinsel vereint. Wie es zur Vereinigung und zum Königreich Italiens gekommen ist, und dass dies für die einzelnen Staaten und die Bevölkerung ein schmerzhafter und langwieriger Prozess gewesen ist, wird im Museum des Risorgimento interessant und eindrücklich dargestellt. Wir haben das Museum im Palazzo Carignano am Sonntag besucht. Turin ist die Stadt der Vereinigung Italiens, sie war die erste Hauptstadt des Königreichs, ein paar Jahre später wurde Florenz Hauptstadt und schliesslich Rom. Im Museum des Risorgimento ist auch der erste Parlamentsaal des Königreichs von 1861 zu bewundern.
All das Gelernte verdaut haben wir schliesslich im wunderschönen Café San Carlo bei einem Bicerin, einer weiteren Turiner Spezialität: heisse Schokolade, Kaffee und Schlagrahm oder Milch in einem Glas serviert. Sehr fein!
Da auch ein Besuch im ägyptischen Museum in der Liste ‘à ne pas manquer’ steht, haben wir uns am Montag dieses Museum vorgenommen. Die Sammlung ist sehr umfangreich, eindrückliche Sarkophage, Katzenmumien, Königsstatuen oder viele Arten von Grabbeilagen wie beispielsweise Amulette haben uns begeistert.
«A la prossima, bis zum nächsten Mal», haben wir vor der Abreise gesagt. Es gibt viele Gründe, wieder mal für einige Tage ins vielseitige Turin zu reisen. Es war uns sehr wohl hier trotz November.
Kategorien