Mein Onkel Philipp war in den 60-er und 70-er Jahren als Seefunker auf Fahrgastschiffen und Frachtschiffen auf den Weltmeeren unterwegs. Den Beruf des Funkers gibt es heute nicht mehr. Stellen wir uns vor, wenn z.B. die Schiffs-Kommunikation auch heute noch mit Morsezeichen übermittelt werden müsste… Philipp hat mir vor kurzem einen Bericht zu einer seiner Reisen gegeben, den ich sogleich begeistert gelesen habe. Weil ich vielleicht nicht die einzige bin, die gerne einen Blick ca. 50 Jahre zurück in einen Beruf, der heute Geschichte ist, wirft, habe ich entschieden, einige Erlebnisse, die Philipp mir liebenswerterweise zusammengestellt hat, und ebenfalls seinen Bericht (MS Maloja: Die letzte Reise eines Schweizer Hochseedampfers) hier zu veröffentlichen. Ich danke ihm ganz herzlich dafür.
1966 hat sich Philipp an der Seefahrtschule in Bremen ausbilden lassen. Ein Stellenangebot ist danach gleich von selber eingetroffen, als er das Seefahrtzeugnis erhalten hat. So wird der Reeder Norddeutscher Lloyd Bremen sein erster Arbeitgeber. Auf der T/S Bremen (max. 1000 Passagiere und 500 Mann Besatzung) ist er mit 6-8 Berufskollegen als Funkoffizier tätig. Sein Rufzeichen ist DDQP. Die Reise geht von Bremerhaven, Southhampton, Cherbourg nach New York, in 6 Tagen, in New York gibt es 1.5 Tage Aufenthalt, danach geht’s wieder 6 Tage lang zurück. Mehrere Reisen führen ihn von New York aus in die Karibik.
Andere Reisen mit Frachtschiffen, wo Philipp alleiniger Funker und zusätzlich Verwalter ist, gehen nach:
der Westküste Zentralamerikas via den Panamakanal, Mexiko, den Mississippi hoch bis nach New Orleans und zurück nach Europa (MS Lechstein)
– Nord-Brasilien und den Amazonas hoch bis nach Manaos (MS Ruhrstein). Dort werden Paranüsse für Rotterdam geladen. Mit den Nüssen kommt auch ein brasilianisches Team von 4 Matrosen aufs Schiff, dessen Aufgabe darin besteht, die Nüsse regelmässig umzurühren um eine Wärmeentwicklung in den Ladeluken zu verhindern.
– als Bordfunker nach Zentralafrika (MS Maloja), bevor das Schiff an einen griechischen Reeder verkauft wird (neuer Name: Seapearl) – siehe ausführlichen Bericht ‹MS Maloja: Die letzte Reise eines Schweizer Hochseedampfers›.
Aufgaben des Funkers:
Zum vielfältigen Aufgabengebiet eines Funkers gehörten auf einem Passagierschiff:
• Handling des Telegrammverkehrs
• Telegrammkosten berechnen
• Diensttelegramme vom Kapitän an den Reeder und umgekehrt
• Aufnahme von Wettermeldungen
• Täglich eine Wetterkarte mit Grosswetterlage, aktuelle Hochs/Tiefs, Temperaturen, Windstärken/-richtungen, Niederschlag, Höhe Wellengang
• Gefahren-/Untiefenmeldungen
• Tägliche Pressenachrichten einmal in Deutsch (Hamburger Zeitung via Norddeichradio) einmal in Englisch (Washington Post via Chathamradio) jeweils 2 A4-Textseiten
• Unterhalt der Bord-Funkanlage
• Funktagebuch führen, am Ende der Reise ging das Original an das Deutsche Seemannsamt
• Internationale Seenot-/Anruffrequenz 500 kHz abhören auf der Funkwache, Notmeldungen ins Funktagebuch eintragen und bei Meldungen aus dem näheren Umfeld umgehend den Kapitän informieren.
• Bei Atlantiküberfahrten wurden öfters aktuelle örtliche Wetterberichte an die US Navy abgegeben.
Auf einem Frachtschiff sind natürlich alle oben erwähnten Aufgaben auch zu erledigen, da sie aber kleineren Umfangs sind, ist der Funker zusätzlich auch noch Verwalter und es gibt weitere Aufgaben zu erledigen:
• Leiter Abteilung Verpflegung und Bedienung (Koch, Bäcker, Stewards)
• Bewirtschaftung und Empfang der Hafenbehörden und Zolldeklarationen (Mannschaftslisten schreiben für Kontrollen an Bord)
• Festlegen des Vorschusslohns an die Besatzungsmitglieder, dieser wurde später von einem Lokalagenten an Bord gebracht. Da junge Besatzungsmitglieder oft Mühe hatten im Umgang mit ihrem Geld, musste der Funker hie und da mal eingreifen – gemäss Philipp waren sie jedoch später sehr dankbar dafür.
• Verantwortung, zusammen mit dem Koch, für Zukauf von Proviant, Gemüse, Getränke etc.
Kommunikationseinrichtungen an Bord:
Auf der Kommandobrücke: UKW Sprechfunk
In der Funkbude:
Mittelwelle mit Seenot/Anruffrequenz 500 kHz und Arbeitsfrequenzen*
Grenzwelle, Sprechfunk
Kurzwelle Morsetelegrafiefunk*
*Auf diesen Wellen wurde hauptsächlich der Funkverkehr abgewickelt.
Hinweis: In der Funkbude war ein Empfänger (500 kHz Seenot- u. Anruffrequenz) mit Lautsprecher immer «EIN» bei Funker auf Wache. Am Tag war die Empfangsreichweite beschränkt auf ein paar 100 Kilometer. Hingegen am Abend bei der Dämmerung (2-3 Stunden) konnte man z.B. bei der Fahrt im Englischen Kanal Funkstellen von Südspanien bis Island und Nord-Norwegen hören.
Für weitere Infos zum Seefunk: http://www.seefunknetz.de
Ende der Morsetelegraphie
Vor allem zwei der vielen Küstenfunkstellen, mit denen Philipp Funkkontakt hatte, sind ihm wegen äusserst guten Funkdiensten in Erinnerung geblieben: Die an der Nordseeküste, nahe bei Helgoland, gelegene Funkstelle Norddeichradio/DAN, und die besondere, in der Stadt Bern gelegene Bernradio/HEB.
Bernradio hat die Morsetelegraphie im Seefunk am 30. März 1990 eingestellt, Norddeichradio folgte am 1. Januar 1996.
Die Morsetelegraphie ist durch die Satellitenfunk-Kommunikation abgelöst worden, damit ist der Beruf des Funkers wegrationalisiert worden (worüber die Reeder, gemäss Philipp, nicht unglücklich waren).
Philipp Fischer war während 37 Monaten und 7 Tagen als Seefunker unter Vertrag. Ich danke ihm ganz herzlich, dass er mir seine Erinnerungen zusammengestellt hat und dass ich sie hier veröffentlichen darf.