Der erste Eindruck der bekannten Wein-Region Médoc sind Weinreben, soweit ich sehen kann. Es gibt weder Hügel noch Berge, alles ist flach, und da wir Anfang September in die Ferien fahren, sind die Trauben schon fast reif. Zwischen den riesigen Rebenfeldern stehen schöne, gepflegte Schlösser, so wie wir sie von den Weinetiketten der Bordeaux-Weine kennen, z.B. Lafon-Rochet oder Margaux. Das Médoc liegt auf der ca. 80 km langen Halbinsel nord-westlich von Bordeaux und ist vom Atlantik und der Gironde-Bucht, die bis nach Bordeaux reicht, eingerahmt.
Unser Bed and Breakfast (BnB) «Notre Parenthèse» befindet sich in Jau-Dignac, das etwas nördlich der berühmten Weingebiete liegt. Jau-Dignac besteht, wie die meisten Dörfer auf der Halbinsel, aus einer Ansammlung heller Steinhäuser, einer Kirche und vielleicht einem kleinen Lebensmittelladen oder auch nur einem Automaten mit frischen Baguettes. Viele Ortschaften haben einen Mini-Hafen, der zur Gironde-Bucht führt, mit manchmal nur 2 oder 3 Booten, ein paar Fischerhütten und einigen Sitzbänken unter Platanen. Meistens liegen die Boote seitlich im Schlamm, wenn wir in einem Hafen sind. Es gelingt uns erst nach ein paar Tagen endlich einen mit Wasser gefüllten Hafen zu sehen 😊 Diese kleinen Häfen sind friedlich, von Poldern und viel Natur umgeben.
Das Médoc hat aber noch ein ganz anderes Gesicht, das des Ozeans. Im Norden der Halbinsel, dort wo das Wasser der Gironde-Bucht in den Atlantik mündet, liegt die kleine Stadt Verdon-sur-mer. Von hier aus besteigen wir das Boot um den 8 km weit im Atlantik stehenden Cordouan-Leuchtturm zu besuchen. Es ist eine abenteuerliche Reise. Weil Ebbe ist, steigen wir ca. 500m vor dem Turm in ein Boot mit Rädern um, das uns zuerst schwimmend in die Nähe bringt und dann aus dem Wasser fährt, um uns auf einer Sandbank abzuladen. Danach ziehen wir die Schuhe aus und gehen zu Fuss durch das teilweise knietiefe Wasser bis zum Eingang des Leuchtturms.
Wie eine Kathedrale steht der 60m hohe Leuchtturm im Meer. Seit 400 Jahren zeigt er den Schiffen den schmalen Eingang in die Gironde an. Er ist weltweit der einzige Leuchtturm mit Wärter, der noch in Betrieb ist.
Das Médoc liegt im Departements Gironde (gleicher Name wie die Bucht) und die Hauptstadt ist Bordeaux. Mit dem Zug fahren wir einen Tag in die Hauptstadt an der Garonne. Bordeaux ist modern und gepflegt, es gibt kaum Autos in der Innenstadt, dafür effiziente Trams, und überall Fussgänger, Velo- und e-Trottinett-Fahrer, die scheinbar problemlos miteinander zurechtkommen. Wir flanieren im historischen Zentrum, im schicken Quartier, sowie in den Gassen des Ausländer-Quartiers mit kleinen Lebensmittel-Läden, die nach Gewürzen duften. Wir bewundern auch die moderne Architektur der Cité du Vin oder der Jacques Chaban-Delmas-Brücke, die an den 4 riesigen Pfeilern hochgehoben werden kann, damit die enormen Kreuzfahrtschiffe in den Hafen segeln können. Die Stadt gefällt uns sehr gut und wir beschliessen, später einmal für einige Tage nach Bordeaux zu reisen.
Nahe bei den Weindörfern des Médoc, nur 15km vom BnB am Atlantik liegt der Badeort Soulac-sur-mer. Hier treffen wir auf eine ganz andere Welt. Es gibt Cafés mit Terrassen, Boutiquen, einen gedeckten Markt und viele Touristen – und das Licht des Ozeans. Die Häuser sind teilweise aus Backstein gebaut, ein englischer Einfluss ist deutlich sichtbar. Der feine Sandstrand ist etwa 300 m breit. Zum Schutz vor dem starken und kühlen Wind mieten wir ein Strandzelt, das wir über ein vorbereitetes Gerüst stülpen und anbinden können. Der Sand dringt aber trotzdem überall ins Zelt hinein und alle unsere Sachen sind in kürzester Zeit mit Sand zugedeckt. Ich lasse mich trotz kaltem Wasser und starken Wellen am überwachten Strand von den Wellen des Atlantiks mittragen – herrlich, dieses Gefühl 😊
Der Sandstrand zieht sich von hier aus 200 km in den Süden bis zur spanischen Grenze (Côte d’Argent), gesäumt von einem Pinienwald, den Menschen vor 200 Jahren gepflanzt haben um die Erosion aufzuhalten. Unterbrochen wird der lange Strand nur von der Bucht des Bassin d’Arcachon. Dort verbringen wir unsere zweite Ferienwoche.
In beiden BnBs, in Jau-Dignac und im «La Claire de Lune» in Andernos-les-Bains» ist das Frühstück ein angenehmer Start in den neuen Tag, wo Infos, Erfahrungen und Erlebtes ausgetauscht werden mit den anderen Gästen und den Vermietern, und das dauert jeweils entsprechend lange.
Auf der Fahrt vom Médoc nach Andernos-les-Bains, unserem 2. Ferienort, machen wir an den Surfstränden Carcan-Plage und Lacanau-Ocean Halt. Sie erinnern mich an die kalifornischen und australischen Surfstrände, an Freiheit, easy life und Beach Boys: Im Neopren-Anzug mit dem Surfbrett unter dem Arm strömen Surfer Richtung Strand oder kommen vom Strand zurück und verteilen sich in den Quartieren zwischen den Bungalows.
Das BnB La Claire de lune ist eine elegante im Kolonialstil gebaute Villa, übrigens wie viele Häuser in dieser Gegend. Sie liegt nur ca. 200m vom Strand entfernt. Wir benutzen hier öfters unsere Kitchenette und kaufen auf dem Markt oder beim Traiteur ein und essen «zu Hause».
Andernos ist ein Badeort mit vielen Touristen, die Stimmung ist entspannt und velo-freundlich. Unsere Gastgeberin Laurence erklärt uns, dass die Bewohner von Andernos nicht gerne arbeiten… Im Stadtpark wird am frühen Abend Pétanque gespielt und bei Sonnenuntergang leuchtet der Himmel jeden Abend in allen Regenbogenfarben.
Auch hier dauert es eine gewisse Zeit, bis wir endlich Wasser im Meer sehen. Vormittags ist Ebbe und die Boote liegen meistens im Sand. Bei Flut ist die Wassertemperatur jedoch angenehm und wir gehen schwimmen. Bei Ebbe leert sich die Bucht bis auf einen Drittel des Wassers. Es sind demnach beträchtliche Gezeitenströme, die alle 6 Stunden zwischen Arcachon und Cap Ferret, der nur 3 km schmalen Öffnung zum Atlantik hin, ein- und ausfliessen.
Am ersten Tag mieten wir Velos, die wir dann einige Tage behalten, denn die Gegend ist ideal dafür. Alles ist flach und die Velowege rund um das Bassin sind bestens ausgebaut. Der 1. Ausflug führt uns zum Hafen der Austernzüchter. In der Arcachon Bucht werden vor allem junge Austern gezüchtet, die dann an diverse Züchter in Europa verkauft werden. Diese wiederum ziehen die Austern während 3 bis 4 Jahren auf. Viele Austernzüchter haben in ihren Häuschen am Hafen einfache Bistrots eingerichtet, wo frische Austern oder Fische direkt vor Ort gekostet werden können. Wir haben da einen feinen Fisch gegessen.
Die Touristenattraktion in Arcachon ist die Dune du Pilat, die höchste Sanddüne Europas, sie liegt im Süden der Stadt. Wir «klettern» im Sand, d.h. einen Schritt vorwärts und einen halben wieder zurück, auf den 110m hohen Sandberg. Bei schönstem Wetter ist die Aussicht auf die ganze Gegend grandios. In der Erklärung, wie die Düne entstanden ist, können wir lesen, dass es im Meer, vor dem Standort der heutigen Düne, eine riesige Sandbank gab und dass Wind und Strömung während Jahrhunderten diese Sandbank abgetragen und die Dune du Pilat «aufgebaut» haben.
Arcachon ist der Ferienort der Reichen Bordelais, er liegt nur 60km von Bordeaux entfernt. Die Stadt ist in 4 Teile aufgeteilt: Winter-, Frühlings-, Sommer- und Herbststadt. In der Winterstadt auf dem Hügel bewundern wir wunderschöne in maurischem oder anglo-normannischem Stil gebaute Villen. Der Strand befindet sich logischerweise in der Sommerstadt.
Ein weiterer Tagesausflug führt uns zum Cap Ferret, der schmalen 25 km langen Halbinsel zwischen der Bucht und dem Atlantik. Vor langer Zeit wurde die Halbinsel für unbewohnbar erklärt, dann haben Fischer und Austernzüchter am Ufer zur Bucht hin ihre ersten Hütten aufgestellt und im sandigen Boden Pflanzen und Wälder gepflanzt. Heute ist die Halbinsel als Ferien- und Rückzugsort von Reichen und Berühmten aus Frankreichs Showbiz bekannt. Es gibt jedoch noch einige Fischerdörfer, die noch bewohnt sind. Wir besuchen das Dorf «L’herbe» mit seinen farbigen Bungalows, Blumen und mehreren Austernzüchtern, die direkt am Meer Tische aufgestellt haben, wo wir die frischesten und besten Austern zu einem Glas Weisswein geniessen. Das Ganze in Begleitung des Bernardiner-Hundes des Züchters, der sich neben Bernard setzt und uns während des Essens friedlich zuschaut.
In der 3. Ferienwoche wollen wir das Périgord auf den Spuren des Chef de Police Bruno entdecken (Kriminalromane von Martin Walker). Auf dem Weg dorthin bleiben wir einen Tag im berühmten Weinort St. Emilion im friedlichen Tal der Dordogne. Die schöne und gut erhaltene mittelalterliche Stadt liegt auf einem Kalkfelsen umgeben von Weinreben-Feldern und renommierten Schlössern. Die Stadt gehört zum Unesco-Weltkulturerbe. Die ältesten Reben hier sind im 2. Jahrhundert gepflanzt worden, und bereits im Mittelalter war St. Emilion für seine Weine bekannt. Es waren die Engländer, die die Weine aus Bordeaux und St. Emilion geschätzt und aus diesem Grund die Entwicklung des Weinbaus vorangetrieben haben, denn, wie die ganze Region Nouvelle Aquitaine gehörte auch St. Emilion im Mittelalter zu England.
Am nächsten Vormittag haben wir ganz in der Nähe, in Castillon-la-Bataille an der Dordogne, daran gedacht, dass es den Franzosen hier um 1453 gelungen ist, die Engländer zu besiegen und damit den 100-jährigen Krieg zu beenden.
Angekommen im Périgord im Tal der Vésère, dem Wirkungsgebiet des Chef de police Bruno, fahren wir nach Montignac zum Hotel, in dem wir die erste Nacht auf dem Weg ins Médoc übernachtet haben. Aber oh je, am Eingang hängt ein Schild: Complet. Damit haben wir nicht gerechnet! Ganz in der Nähe, im kleinen Hotel «Le Petit Monde», ist aber noch ein Zimmer frei – mit Fenster zur Strasse und einem 140-cm-schmalen Bett. Aber wir nehmen es sofort, schliesslich haben wir uns schon 2 Wochen in den angenehmsten BnBs erholt. Das kleine Hotel gefällt und dann sehr gut, und ich gehe jeden Morgen der Vésère entlang joggen. Zufälligerweise liegt das Hotel nur 500 m vom Zentrum mit den Felsenmalereien der Höhlen von Lascaux entfernt, die wir unbedingt sehen wollen.
In der Altsteinzeit (Paläolithikum) lebten Jäger und Sammler in dieser Gegend. Allein im Périgord gibt es 15 urgeschichtliche Stätten, die zum Weltkulturerbe der Unesco gehören. Vor 20‘000 Jahren haben Menschen in den Höhlen von Lascaux grossartige Kunstwerke an die Wände gemalt: Kühe, Pferde oder Hirsche, farbig und fein wie Porzellanmalerei. Wir sind begeistert, das waren grosse Künstler, Tausende von Jahren vor unserer Zeit. Die Malereien sind erst 1940 entdeckt worden. Ein Blitzschlag hat einen Baum entwurzelt und so den Eingang zur Höhle freigegeben, die ein junger Mann aus Montignac beim Spaziergang mit seinem Hund entdeckt hat, weil sein Hund Spuren nachschnüffelt, die in die Höhle führen. Heute besuchen wir eine exakte Kopie der originalen Höhle, die für die Touristen hergestellt worden ist, um die ursprünglichen Zeichnungen zu schützen.
Auch nach Mitte September ist es sehr warm, die Temperatur klettert jeden Tag über 30°C. Abends essen wir auf einer der Terrassen am Ufer der Vésère die Spezialitäten aus dem Périgord, für die die Gegend weltberühmt ist und die der Polizist Bruno aus der Krimiserie jeweils seinen Gästen kocht (Gänseleber, Trüffel, Steinpilze, Ente). Während den ganzen Ferien trinken wir fast ausnahmslos offenen Wein aus der Gegend ohne jemals enttäuscht zu sein.
Wie besuchen noch weitere Dörfer, deren Namen ich aus den Krimis kenne, z.B. Lalinde, St Cyprien oder Les Eyzies, ein typisches teilweise in den Felsen hineingehauenes Dorf.
Sarlat im Tal der Dordogne ist ebenfalls ein Besuch wert, die schöne mittelalterliche Stadt ist gut erhalten, aber von Touristen überschwemmt wie Yvoire am Lac Léman. Bei einer Fahrt mit einem alten Segelschiff auf der Dordogne entlang des Felsen-Dorfes La Roque Gargeac erholen wir uns.
Im Felsen-Dorf La Roque St. Christophe lebt heute niemand mehr, jedoch haben im Paläolithikum, in der Bronze-Zeit, zur Zeit der Römer und auch im Mittelalter Menschen in dieser länglichen Schneise, die sich auf 60 m Höhe über dem Boden befindet, gelebt, und sogar eine Kirche hineingebaut. Der Meeresspiegel, der sich vor langer Zeit auf dieser Höhe befand, soll diese Schneise ausgewaschen haben (Erosion).
Ein letztes Mal laden wir die 4 Kartons Bordeaux-Wein, die wir nach der Degustation im Médoc gekauft haben (war nicht vorgesehen, aber dieses kleine noch unbekannte Weingut hat uns überzeugt) und seitdem überallhin mittransportieren, wieder ins Auto, und zufrieden, erholt und mit vielen neuen Eindrücken geht es zurück nach Genf.