Der Wecker ist auf 6.15 Uhr gestellt. Ich achte aber darauf, dass er nicht losgeht um Bernard nicht zu wecken. Weil die Müllabfuhr jeden Morgen schon vor 6 Uhr ziemlich lärmig die Abfälle der Hotels und „Bagnos“ vom Vortag einsammelt, bin ich aber eh schon wach. Wir sind in den Badeferien in Milano Marittima, einem Ferienort unter Schirmpinien an der Adriaküste zwischen Ravenna und Rimini. Im direkt am Strand gelegenen Abahotel hat unsere Familie in den 70-er Jahren die ersten Strandferien verbracht – und ist danach während vielen Sommern immer wieder hierhin zurückgekehrt.
Im Badezimmer ziehe ich mich im Licht der Taschenlampe an, um zu verhindern, dass der Lichtschalter den Ventilator in Gang setzt und Bernard wach wird. Die Hotelhalle ist noch dunkel, wenn ich die Treppe hinuntersteige, ich sehe aber bereits meine beiden italienischen Freundinnen an der Bar stehen und Espresso trinken, mit warmer Jacke, weil es am Morgen recht kühl ist. Bis ich an der Bar bin, hat der Nachtportier und Barkeeper auch für mich einen Espresso bereitgestellt. Draussen, über der Baumallee, die das Hotel vom Strand trennt, ist ein Streifen des pastellfarbener Morgenhimme sichtbar – wir begrüssen uns und gehen nach einem kurzen Schwatz mit dem Nachtportier zum Strand.
Im kühlen Sand sind die Sonnenschirme noch geschlossen und alles ist ruhig. Stefano, der Chef des Bagno Pino ist mit dem Rechen am Wasser und recht Muscheln, kleine Krappen, manchmal auch 30cm grosse Quallen und Plastiknetz-Teile der Miesmuschelzüchter zusammen, die das Meer in der Nacht ans Land gespült hat. Ein Traktor und ein riesiger Schaufelbagger fahren etwas später dem Strand entlang und sammeln das angespülte Gut ein.
Wir drei Frauen sind jeden Morgen vom Schauspiel der aufgehenden Sonne fasziniert. Es ist nur sehr kurz, aber es scheint als würde sich ein glutroter Feuerball aus dem Meer erheben. Der Himmel färbt sich mit regenbogenfarbenen Pastelltönen, die sich auch über das Meer und den Strand legen. Zusammen mit meinen beiden italienischen Freundinnen aus der Gegend von Modena, die ich zu Beginn der Ferien am Morgen früh hier am Strand kennengelernt habe, spaziere ich dem Strand entlang. Es freut mich, dass ich meine mittelmässigen Italienisch-Kenntnisse anwenden und etwas verbessern kann.
Nach einer knappen Stunde sind wir wieder zurück bei unserem Bagno und es ist Zeit für mein morgentliches Bad im Meer. Es ist angenehm warm ins Wasser zu tauchen, weil sich seine Temperatur in der Nacht nicht so schnell abgekühlt hat wie die der Atmosphäre. Ich habe das Meer für mich allein. Meine beiden Freundinnen bleiben auf einem Liegestuhl. Ein Blick zu unserem Hotel zeigt mir jetzt auch, dass Bernard aufgestanden ist. Im Zimmer sind die Storen hochgezogen und manchmal steht er sogar auf dem Balkon. Es ist Zeit für das Frühstück! Zurück im Hotel duftet das ganze Haus nach frischen „Cornetti“, ich habe Hunger, zuerst geht’s aber noch unter die warme Dusche.