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Unterwegs

Vallemaggia

Wildes Val Bavona
Wildes Val Bavona

Während unseren Ferien im September ist das Wetter sonnig und sehr warm. Die erfrischend kühle Maggia fliesst nur 10 Fussminuten von unserer Ferienwohnung in Avegno dahin. Deshalb ist die angenehmste Abkühlung jeweils ein Schwumm in der Maggia. Das Badetuch lege ich auf die Steine oder einen Sandstreifen am Ufer, dann tauche ich langsam ins kalte Wasser ein. Oh ist das herrlich! Etwas weiter unten am Ufer der Maggia gibt es einen Campingplatz. Dort gefällt uns die Camping-Atmosphäre im Restaurant, die Pizza ist fein und der Merlot auch, deshalb sind wir da hie und da am Abend anzutreffen. Das typische Tessiner Restaurant aber ist natürlich ein Grotto. Davon gibt es zwei in Avegno, wo die Tessiner Spezialitäten Polenta con Brasato oder Coniglio sehr gut zubereitet werden, ein Boccalino Merlot gehört auch immer dazu. Manchmal fahren wir abends auch mit dem Bus nach Locarno. Auf der Seeterrasse im Al Pozz’ essen wir köstlichen Ossobucco und Scaloppine al limone und zum Dessert ein Tirami sù. Und eine weitere Tessiner Spezialität gibt es jeweils zum Frühstück: Panettone, den von Poncini aus Maggia, das ist der beste. – Soviel zum kulinarischen Teil unserer Ferien.

Wegen Covid-19 verbringen wir – und viele andere Schweizer Touristen – die Ferien dieses Jahr in der Schweiz. In Avegno in einem 3-Familienhaus haben wir bei Reka Ferien (Schweizer Reisekasse Genossenschaft) die mittlere Wohnung gemietet. Avegno ist ein typisches Tessinerdorf und hat schon den Wakkerpreis bekommen, für die Massnahmen, die es gegen die Auswanderung ergriffen hat. Es liegt kurz nach Ponte Brolla, dem Eingang ins Maggiatal, am rechten Hang. Das Tal ist hier noch eng, die steilen mit Kastanienwäldern bewachsenen Hänge erheben sich bis ca. 800m in die Höhe. Das Vallemaggia mit seinen zahlreichen Nebentälern bietet uns unzählige Möglichkeiten für Wanderungen in wilden Landschaften, Erholung in der Natur und Entdecken der Tessiner Eigenheiten. Wir verlassen das Maggiatal selten, weil wir in den ersten Tagen unserer Ferien beim Ausflug in den Konsumtempel Fox Town in Mendrisio feststellen, dass alle Strassen verstopft sind, sobald wir das Tal verlassen. Nach Bellinzona fahren wir ab Locarno mit dem Zug. Die drei Castelli dominieren die Hauptstadt des Tessins, die das Schweizer Strafgericht beherbergt. Die drei Burgen gehören zum Unesco-Welterbe. Mit dem Lift fahren wir zum Castello Castelgrande hoch, geniessen die Aussicht und sind vom grossen Umschwung mit den Weinbergen beeindruckt. Später flanieren wir in der Altstadt unter Arkaden oder bewundern schöne und gepflegte Häuser, verziert mit Zeichnungen, Jugendstil-Motiven und Gips-Stuckaturen. Und wir sind uns einig: Bellinzona ist die schönste Stadt im Tessin.

Von Cevio im Maggiatal zweigt westlich das Nebental Val Rovana ab. Wir nehmen diese Strecke um Bosco Gurin, das einzige deutsch-sprachige Tessinerdorf, zu besuchen, und fahren die 16km lange, engkurvige Bergstrasse bis auf 1500m hoch. Mit einer Minestrone gestärkt, besuchen wir am Nachmittag das Walsermuseum, um mehr über diese allemannische Volksgruppe zu erfahren, von der im 13. Jh. 10 Familien vom Wallis her in diese Gegend kamen. Deshalb stehen in Bosco Gurin Walliserhäuser. Im Hochgebirge, wo nur wenige überleben konnten, hatten die Walser Wege gefunden um den Boden zu bebauen. Sie waren geschickt und die Landvögte gaben ihnen gerne ihr Land zum Bebauen. Dafür bekamen die Walser Privilegien, sie waren frei, es gab keine Steuern, keine Fronarbeit für Vögte und die freie Eheschliessung war möglich. Sie waren jedoch arm und ihr Leben war sehr einfach. Heute können sie fast nur noch mit dem Tourismus überleben. Untereinander reden die Walser, die noch in Bosco Gurin leben, einen speziellen deutschen Dialekt. Die Kinder gehen in Cevio zur Schule und dort wird Italienisch gesprochen. Deshalb wird der Walserdialekt wohl nur durch Sprachliebhaber weiter bestehen können. Nach der Rückkehr aus Bosco Gurin bleiben wir «zu Hause» auf dem Balkon. Es gibt Piadina gefüllt mit Tomaten, Mozzarella und Basilikum, ein gutes Glas Merlot aus dem Mendrisiotto und zum Schluss einen Schluck Nusslikör aus Gordevio, unserem Nachbardorf. 😋

Zwei weitere Nebentälter des Vallemaggia, das Val Bavona und das Val Lavizzara, zweigen bei Bignasca vom Haupttal ab. Im Val Bavona, in dem es keine Elektrizität gibt, lassen wir für unsere Wanderung das Auto in Sonlerto stehen und wandern entlang mehrerer kleiner Rustico-Dörfer zurück nach Foroglio. Die Wiesen entlang des Baches sind saftig grün. Die Grau-Töne des Tessiner Granits herrschen vor, in den Dörfern und den steilen, beidseitig in die Höhe ragenden Felswänden, und der Himmel darüber ist stahlblau. In Foroglio angekommen tauche ich beim berühmten Wasserfall die Füsse ins eiskalte Wasser, danach essen wir unser Picknick und wandern wieder zurück. In San Carlo, ganz hinten im Val Bavona, bestellen wir später auf einer Terrasse einen Tessinerteller und Käse aus Robiei. Auf der Rückfahrt fahren wir noch im Val Lavizzaro eine weitere enge, steile Bergstrasse hoch nach Brontallo. Das Dorf liegt an einem steilen, sonnigen Abhang. Wir schauen eine alte Traubenpresse aus Holz an und es wundert uns nicht, dass der Weinbau hier immer wichtig war. Ausser einigen Parzellen mit Weinreben gibt es hier aber nichts. Es muss es ein hartes Leben gewesen sein früher hier oben.

Eine Woche später kehren wir ins Val Lavizzaro zurück. Ins kleine Dorf Mogno, weit hinten im Tal gelegen, auf 1200m. Die berühmte Kapelle von Mario Botta, an der Stelle gebaut, wo eine Lawine 1986 die alte Kirche des Dorfes zerstört hat, ist der Grund. Auf Bildern fand ich diesen abgeschrägten Zylinder komisch. Als wir aber davor und im Gotteshaus drin stehen, bin ich begeistert. Die Kapelle ist klein, modern, das Licht kommt nur über das Dach hinein und sie ist aus zwei aus dem Tal stammenden Gesteinsarten gebaut – hellem Marmor aus Peccia (Nachbardorf) und Granit. Mit gefällt die Einfachheit des Gebäudes und auch das Bild, das sich durch die verschiedenfarbigen Gesteinsarten ergibt.

Auch in das Centovalli und das Valle Onsernone, 2 Nachbartäler des Vallemaggia, haben uns Exkursionen geführt. Am Eingang ins Centovalli, in Intragna, sind wir bei Lustenbergers eingeladen. Ihr Gartensitzplatz ist mitten in der Natur am Waldrand gelegen, wo die Infrarot-Kamera die nächtlichen Streifzüge von wilden Tieren aufzeichnet – Wildschweine mit ihren Jungen und einen Dachs beobachten wir auf den Aufzeichnungen. Einen ganzen gemütlichen Nachmittag und Abend geniessen wir zusammen mit ihnen mit feinstem Essen, Trinken und interessanten Gesprächen.

Am Ende unserer Ferien, bei der Rückreise nach Genf, kommen wir nochmal ins Centovalli, weil wir die Route über den Simplon wählen. Im kleinen Ort Re in Italien besuchen wir einmal mehr die riesige Kathedrale Madonna del Sangue, und am Mercato kaufe ich noch das Gemüse ein für das Wochenende.

Das Valle Onsernone ist eine Welt für sich. Im schmalen Talboden fliesst der Isorno, eingerahmt auf beiden Seiten von steilen, bewaldeten Hängen. Am nördlichen Hang sind die kleinen Dörfer bis nach Spruga über eine enge, kurvenreiche Strasse verbunden. Die Fahrt ist anstrengend, vor allem für ungeübte Autolenkerinnen wie mich 😓 Vor jeder engen Kurve schicke ich ein Stossgebet zum Himmel, denn ich möchte hier nicht rückwärts fahren um einem Lastwagen oder Postauto ausweichen zu müssen. Wir finden sogar einen ehemaligen Arbeitskollegen, der seit seiner Frühpensionierung im Valle Onsernone ein BnB führt. In Comologno fragen wir Einheimische nach Beat und bekommen zur Antwort, dass 2 Dörfer weiter talabwärts auf der linken Seite ein Beat wohnt. In Vocaglia (ca. 1000m ü. M.) angekommen, finden wir schliesslich das BnB. Später trifft auch der erstaunte Besitzer ein, und kurz danach sitzen wir mit einem Bier im schönen Garten und erzählen uns unsere Neuigkeiten.

Durch unsere Ausflüge, Wanderungen und Gespräche haben wir einen Einblick in diesen vielfältigen Kanton erhalten. Von den Tälern ist fast jedes eine eigene Welt in den Bergen, und an den Seeufern treffen wir eine Atmosphäre wie am Mittelmeer mit Palmen und südlichen Pflanzen an. Wenn du jedoch Italianità suchst, musst du die Landesgrenze überqueren. Im Tessin spricht man zwar dieselbe Sprache wie in Italien, sonst ist es aber ganz anders – tessinerisch eben. Wir wiederkommen, es bleiben uns noch viele Tessiner Eigenheiten zu entdecken.